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Ein Projekt optimal starten – dafür sind bei öffentlichen Bauvorhaben aufgrund der besonderen Rahmenbedingungen und des Zeitdrucks nicht immer die Möglichkeiten gegeben.

Im SPIEGEL-Interview (20.11.2019) spricht Turadj Zarinfar über Systemfehler und wie die Zusammenarbeit gerade bei Großprojekten optimaler von Beginn an gestaltet werden kann.

Projektplaner über typische Probleme beim Bauen

„Wir reden vom Fluch der ersten Zahl“

Turadj Zarinfar übernahm die Sanierung der Kölner Oper und des Kölner Schauspielhauses, nachdem es zum Baustopp gekommen war. Warum geht bei Großprojekten so viel schief?
Von Alfred Weinzierl

SPIEGEL: Herr Zarinfar, in Köln sind die Baukosten für die Sanierung der Oper und des Schauspielhauses auf 554 Millionen Euro hochgeschnellt. Warum müssen öffentliche Bauten – von der Hamburger Elbphilharmonie bis zum Berliner Flughafen – mehr als doppelt so teuer werden wie geplant?

Zarinfar: Weil die Politik sehr früh für einen Planungsbeschluss eine Summe hören will, wieviel ein Gebäude kostet, egal ob es saniert oder neu gebaut werden soll. Wir reden im Bauwesen vom Fluch der ersten Zahl. Derjenige, der die erste Zahl genannt hat, liegt in der Regel falsch und wird damit ständig konfrontiert. Wir erleben Projekte, in denen Mitarbeitern in der Bauverwaltung teilweise nur 48 Stunden Zeit gegeben werden, eine Entscheidungsvorlage für die Politik zu erarbeiten. Und Kosten zu benennen. Das wird eine Bierdeckelkalkulation, die kann nicht richtig sein.

SPIEGEL: Was macht die Kalkulation so schwierig?

Zarinfar: Bei den meisten Gebäuden der öffentlichen Hand, die groß, aufwendig und teuer sind, sprechen wir nicht über Massenfertigung wie Wohnblöcke oder Bürotürme, sondern über ambitionierte Prototypen. Also Bahnhöfe, Theater, Polizeipräsidien. Was da gebaut wird, hat es in dieser Form vorher noch nicht gegeben und wird es kein zweites Mal geben. Und wenn ich nicht neu bauen soll, sondern etwas Modernes in einer 50 oder 100 Jahre alten Struktur unterbringen soll, wird die Unsicherheit um ein Vielfaches größer.

SPIEGEL: Dennoch müssen Politiker, die das Geld des Steuerzahlers ausgeben, eine Ahnung davon bekommen, wieviel etwas kosten wird.

Zarinfar: Sollen sie auch. Aber nicht in der, wie ich es nenne, Phase null. Wenn ich ein Projekt seriös aufsetzen will, brauche ich eine gute Bedarfsplanung und eine Machbarkeitsstudie. Da müssen wir sorgfältig feststellen, was der Nutzer möchte und braucht. Erst wenn wir den Bedarf genau kennen, kann dieser in bauliche Anforderungen umgesetzt werden. Das ist die Voraussetzung für eine seriöse Kosten- und Zeitplanung. Wir bauen nicht zum Selbstzweck, sondern fürs Gemeinwohl, wenn wir Schulen, Verwaltungsgebäude oder Kulturbauten errichten. Und die sollten nach dem gesunden Menschenverstand ausgerichtet werden – als ob es das eigene Geld wäre, das man ausgibt.

SPIEGEL: Aber leben Architektur und Stadtentwicklung nicht auch davon, dass mal ein großer Wurf gewagt wird – statt biederer Konfektion?

Zarinfar: Das ist kein Widerspruch. Man kann tolle Gebäude entstehen lassen, die trotzdem bezahlbar und vor allem kalkulierbar sind. Man muss sie nur sorgfältig planen.

SPIEGEL: Was verstehen Sie unter einer sorgfältigen Planung?

Zarinfar: Am Anfang muss ich viel Aufwand treiben und in eine Vorplanung gehen. Wenn ich anfangs wenig Aufwand treibe, weil ich unter Zeitdruck bin, weil ich Planungskosten sparen will oder, weil ich noch gar keine genaue Vorstellung von meinen Erwartungen an ein Gebäude habe, dann produziere ich nachhaltig Ineffizienz. Diese wirkt sich dann später in der Bauphase aus. Dann müssen Planungen nachgeholt werden, wenn bereits gebaut wird. Das treibt oftmals die Kosten nach oben. Schlimmer ist es oft bei privaten Projektentwicklern: Die beauftragen einen Architekten, erste (Vor-)Entwürfe zu machen. Die kommen dann auf den Verkaufsprospekt.

SPIEGEL: Das heißt, das Bild ist eine reine Kulisse?

Zarinfar: Da gibt es schon eine Vorplanung, aber über das konkrete Raumprogramm oder statische Aspekte ist noch nicht nachgedacht worden.

SPIEGEL: Warum nimmt man sich nicht mehr Zeit, sondern läuft in den Planungen einem vorschnellen Entwurf hinterher?

Zarinfar: Unter anderem, weil gerade private Bauherren erst einmal verkaufen wollen – um so wenig wie möglich vorfinanzieren zu müssen. Das hat sich seit den Achtzigerjahren so etabliert. Die nächste Schwierigkeit besteht darin, dass junge Architekten zu oft nicht in der Lage sind, eine saubere Ausführungsplanung zu liefern – weil sie es auf der Hochschule nicht mehr lernen. Dort stehen die Kreativität und der Entwurf im Vordergrund. Das beißt sich jedoch mit der Haustechnik, die immer komplexer und schwieriger zu planen wird. Da müssen sie echte Spezialisten in der Planung hinzuholen. Wer das scheut, kommt mit einer halbfertigen Planung auf die Baustelle.

SPIEGEL: Was ist in Köln bei der verunglückten Sanierung von Oper und Schauspielhaus passiert?

Zarinfar: Eine Verkettung verschiedener Ursachen. Das ist nichts Besonderes, das passiert bei anderen Bauvorhaben auch. Einfachste Projektmanagementregeln waren von verschiedenen Beteiligten nicht befolgt worden: Kostenverfolgung, Risiken aufnehmen, Rollen verteilen und einhalten, Transparenz schaffen.

SPIEGEL: Auffällig ist, dass bei vielen Projekten eher die Haustechnik Probleme bereitet als der Rohbau. Woran liegt das?

Zarinfar: Die Haustechnik ist in den vergangenen Jahrzehnten immer anspruchsvoller geworden, der Brandschutz deutlich aufwändiger. Da etliche Gewerke im Spiel sind, müssen diese sehr genau koordiniert werden. Es kann sein, dass alle für sich perfekt geplant haben, der Heizungsplaner, der Lüftungsplaner, die Sprinklerplaner, die Elektroplaner – in Summe acht Gewerke, acht Anlagengruppen – und dann wollen alle den gleichen Versorgungsschacht nutzen. Wenn dann niemand die einzelnen Pläne zusammenführt und übereinandergelegt, eine sogenannte Kollisionsplanung erstellt, gibt es eine massive Störung. Leider hat sich das aber seit 20 Jahren eingebürgert. Es passiert beim Bau von Schulen, von Verwaltungsgebäuden, bei Kulturstätten.

SPIEGEL: Das ist ein Armutszeugnis für ein Land voller Ingenieure.

Zarinfar: Deshalb hat die Bundesregierung ja auch einen „Leitfaden Großprojekte“ herausgegeben. Da steht nun drin: Man müsse erst planen, dann bauen. Das ist eigentlich zum Totlachen. Das ist, als würde man dem Bäcker empfehlen: Erst den Teig machen, dann in den Ofen schieben. Und nicht die Zutaten in den Ofen schmeißen und hoffen: wird schon fertig werden.

SPIEGEL: Warum beherzigen nicht alle so einen selbstverständlichen Leitsatz?

Zarinfar: Baubegleitendes Planen findet heute bei 99 Prozent der Baustellen statt. Wir haben da einen Systemfehler. Wir geben den Planern nicht die Kapazität und Zeit, die sie benötigen. Wenn Probleme auftauchen, wird die Umsetzung oft nicht angehalten, bis das Problem gelöst ist. Vielmehr wird beschlossen: Das klären wir später. Und dann türmen sich die Probleme auf der Baustelle so auf, dass nichts mehr vorangeht.

SPIEGEL: Warum sagt nicht jemand: Halt, Stopp?

Zarinfar: Wer traut sich in der öffentlichen Verwaltung schon den Dezernenten, Bürgermeistern oder Fraktionschefs zu sagen: Es geht nicht. Solche Warnungen passen nicht zum Gestaltungs- und Erfolgsanspruch von Verwaltung und Politik. Die Politik wäre wahrscheinlich empfänglicher, eine Entscheidung auf den Prüfstand zu stellen oder zu revidieren, wenn ihr rechtzeitig klaren Wein eingeschenkt werden würde. Solange das nicht der Fall ist, bleibt natürlich der politische Wille und nicht die ökonomische Vernunft entscheidend.

SPIEGEL: Wie entkommt man diesem Dilemma?

Zarinfar: Wir haben die Chance Bauprojekte von Beginn an gut zu planen, wenn Bauherren, die öffentliche Verwaltung und die Entscheider mit allen Beteiligten an einem Strang ziehen. Hierfür braucht es konsens-bildende Prozesse, die das jetzige System verändern – im Sinne besserer Planung.

Quelle: DER SPIEGEL Online, erschienen am 20.11.2019, von Alfred Weinzierl

Interview mit Turadj Zarinfar